Im Norden Neuköllns ragt der Reuterkiez halbinselartig in den Nachbarbezirk Kreuzberg hinein. Begrenzt wird das Quartier vom Kottbusser Damm, der Sonnenallee, der Weichselstraße und dem Maybachufer.

In den vergangenen hundert Jahren hat sich die gebaute Umwelt im Reuterquartier auf den ersten Blick nur wenig verändert: gründerzeitliche Architektur, Kopfsteinpflaster, ein etwas verwirrendes Straßenraster sind bestehen geblieben. Und doch haben die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte deutliche Spuren hinterlassen, den Kiez immer wieder verwandelt und das Leben der Bewohner geprägt. Bundesweite Phänomene sind hier im Kleinen wiederzufinden und doch ist alles ganz individuell: Bevölkerungswachstum durch technischen Fortschritt, Zerstörung und Not durch die beiden Weltkriege, Wiederaufbau, Zuwanderung in den 60er und 70er Jahren und multikulturelle Prägung, Abwanderung der Besserverdienenden und Insolvenz vieler Einzelhändler in den 90ern, Bildungsmissstände, mediale Ghettoisierung Anfang des neuen Jahrtausends und nun: Eine neue Phase der Belebung.

Berlinweit bekannt ist der Wochenmarkt am Maybachufer, der die Vielfalt des Reuterquartiers widerspiegelt.

Mehr zur Geschichte des Reuterquartiers, dessen Name auf den niederdeutschen Volksschriftsteller Fritz Reuter (1810-1874) zurück geht, erfahren Sie hier:

Vom Sumpf zum Stadtteil

Die Geschichte des Reuterquartiers ist bis 1920 keine Geschichte Berlins, sondern die der umliegende Gemeinde Rixdorf mit ihrem Kern im heutigen Richardkiez.

Noch bis Mitte des 17. Jahrhunderts war das Gebiet des heutigen Reuterquartiers ein mit Büschen bewachsenes Gelände, nordöstlich von wichtigen Verbindungsstraßen. Nach der Rodung wurde das Gebiet in ein sumpfiges mit Wiesen und Gräben durchzogenes Terrain umgewandelt und landwirtschaftlich bewirtschaftet.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts setzte eine schnelle Entwicklung ein. In den 1870er Jahren war aus der ersten Ansiedlung am Uferblock bereits ein kleines Industrieviertel geworden, welches jedoch kurz darauf abbrannte. Im Zuge des Wiederaufbaus entstanden hier die heute noch zum größten Teil vorhandenen gründerzeitlichen Wohn- und Gewerbehäuser. Der Druck auf den Wohnungsmarkt wuchs.

Tausende von Menschen zogen in die Städte in der Hoffnung auf bessere Lebensumstände. Berlin dehnte sich auf die umliegenden Gemeinden aus. Ehemals landwirtschaftlich genutzte Flächen wurden innerhalb kürzester Zeit mit Mietskasernen bebaut, Friedhöfe mussten vergrößert und Straßen befestigt werden.

Rixdorf war in dieser Zeit der Industrialisierung und Urbanisierung noch relativ lange eine eigenständige Gemeinde. Erst 1899 erhielt es als größtes Dorf Preußens die Stadtrechte verliehen. Dreizehn Jahre später wurde Rixdorf in Neukölln umbenannt - in der Hoffnung sich mit dem Namenswechsel auch dem Ruf des Arbeiter- und Vergnügungsviertels zu entledigen. Zeugen dieser wilden Zeit sind zum Beispiel noch Gassenhauer wie "In Rixdorf ist Musike". 1920 wurde Neukölln eingemeindet und gehört seitdem zu Berlin.

 

Rot, bunt, leer - ein Quartier im Laufe der Zeit

Das Reuterquartier galt durch die Ausstattung der Wohnhäuser und durch die Mischung seiner Bevölkerung aus Arbeitern und Beamten im Vergleich zu anderen Neuköllner Gebieten als ein etwas gehobeneres Wohnquartier, dennoch gibt es bis heute lediglich eine einzige öffentliche Platzanlage: den Reuterplatz.

Wie im gesamten Bezirk war ein großer Teil der Arbeiterschaft auch im Reuterquartier in Arbeiterparteien organisiert. Man traf sich in den vielen (Eck-) Kneipen zu Versammlungen. In den 1930er Jahren war auch das Reuterquartier im "roten Neukölln" Schauplatz der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und Anhängern der Arbeiterparteien. Dennoch wurden im Nationalsozialismus verschiedene Geschäftsstellen und Institutionen der NSDAP in das Reuterquartier gelegt.

Das Stadtbild des Quartiers war nach dem Zweiten Weltkrieg bis Mitte der 50er Jahre von Ruinen und Häuserlücken geprägt, die dann zunehmend geschlossen wurden. Bis in die 70er Jahre florierten die vielen kleinen Läden im Viertel und trugen zur Lebensqualität und Kommunikation im Kiez bei.

In den 1980er und 90er Jahren standen diese kleinteiligen Geschäfte aufgrund veränderter Konsumgewohnheiten der Anwohner zunehmend leer. Seit etwa fünf Jahren geht der Leerstand in den Erdgeschosslagen zurück, die Läden werden mit neuen Nutzungen gefüllt: Wo früher Obst, Milch und Kolonialwaren verkauft wurden, bereichern heute Existenzgründer, Vereine und Initiativen als auch KünstlerInnen mit neuartigen gewerblichen und gastronomischen Einzelhandelskonzepten aber auch kulturellen und sozialen Angeboten und Dienstleistungen das Quartier.

Neukölln - erste Station für Neuankommer

Neukölln zog schon immer viele Neuankömmlinge Berlins an. Waren es im 18. Jahrhundert Glaubensflüchtlinge aus Böhmen, zogen in den 1960er und 70er Jahren Menschen aus ferneren Ländern nach Neukölln - "eingeladen" als "Gastarbeiter". Viele Familien leben inzwischen schon in der dritten oder vierten Generation in Deutschland. Und doch hapert es mit der Integration und Gleichberechtigung noch in vielen gesellschaftlichen Bereichen.

Aktive Migranten gingen schon 1975 auf den Kottbusser Damm und forderten bessere Bildungschancen für ihre Kinder und stießen dabei auf wenig Gehör. Gut dreißig Jahre später, im März 2006, verlangten die Lehrer der Rütlischule in einem offenen Brief an die Senatsverwaltung Berlin die Auflösung der Schule in dieser Zusammensetzung. Damit traten sie eine bundesweite Diskussion über das deutsche Schulsystem, Gewalt an Schulen und Integration von Kindern mit Migrationshintergrund los. Nun wird die Schule zu einer Gemeinschaftsschule "Campus Rütli" ausgebaut.

www.campusruetli.de